Szenen der Angst - Textauszüge

Textauszüge

Das Gefühl der Nässe ist nicht das Erste, was Färber wahrnimmt. Was ihn kurz selbst überrascht. Es ist das Geräusch des Wassers. Oder besser gesagt das Verschwinden jeglichen Geräusches, ersetzt durch ein Rauschen im Ohr. Er ist blind und orientierungslos, alles dreht sich. Wo ist oben, wo ist unten? Und dann setzt mit aller Kraft der Atemreflex ein. Färber verschluckt sich, fängt an in Panik um sich zu strampeln. Die Kleidung hat sich schon vollgesogen, zieht ihn nach unten.

Beatrix Erhard, Zürcher Geschichten

„Ein Selbstverteidigungskurs auf ärztliches Attest?“ Dr. Fuhrwasser hält mich für verrückt. „Wie soll ich das therapeutisch begründen?“
„Müssen wir nicht gemeinsam alles tun, um meine Angst zu besiegen?“ frage ich scheinheilig.
„Mit den neuerworbenen Kenntnissen könnten Sie Ihrem Psychiater ungestraft an die Gurgel gehen, falls er Ihnen eine ungünstige Prognose stellt. Das soll ich unterschreiben?“
Er traut mir nicht. Wie recht er hat!

Wolfgang Kirchner, Der Drachen

Das Problem war nur, dass sie nicht an sich glaubte. Sie glaubte nicht, dass sie es bis zur nächsten Ecke schaffen würde. Die Dunkelheit um sie herum war wie eine bösartige Masse, in der Gott weiß was lauerte. Die Straßenlaternen mochten Licht spenden, aber außerhalb ihrer hellen Kegel waren dunkle Flecken, und Angelika wollte gar nicht daran denken, was alles in ihnen lauerte.

Severin Richter-Devroe, Die Hahnenfeder

Die mit Laserpistolen ausgerüsteten Ratiotronics hatten gleichmütig-freundlich auf ihn eingeredet: Er müsse sich keine Gedanken machen, es läge nichts gegen ihn vor, er würde nur zu einer kleinen Befragung abgeholt. Um diese sehr speziellen Fragen angemessen auswerten zu können, brauche man allerdings eine besondere Umgebung.
Das Gefühl in den Stimmen war nichts wert. Mit der größten Freundlichkeit könnte man ihm beispielsweise sagen: „Wir reißen dir jetzt die Augen aus, du hast uns damit schief angeguckt.“ Oder: „Wir ziehen dir jetzt die Haut ab, weil wir hören wollen, wie laut du schreist. Du wirst es leider nicht überleben.“
Die Stimmen der Ratiotronics waren immer freundlich. Aber auch Ärger, Wut, Hass, Kummer und Sorge, die irrationalen Zustände der Fleischlinge, konnten sie ganz natürlich spielen.

Wolfgang Malischewski, Kaltschweißverfahren

Sie rannte auf einen frisch gepflügten Acker. Regen hatte die Furchen voll Wasser gesetzt. Sie sank bis zu den Knöcheln in Schlamm, dann bis zu den Waden, sie trat auf die gehäufte Erde, aber die zerrann und verschwand in tiefen Pfützen. Mit großer Kraft zog sie einen Fuß aus dem aufgeweichten, klebrigen Boden, dann den anderen. Aber es schien ihr, als käme sie nicht mehr voran und der Horizont rückte in immer weitere Ferne.

Dschingis Kühn, Ins blaue Kraut